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Das KI-Wettrüsten

Pekings AGI-Strategie: Die neue Staatsdoktrin der Künstlichen Intelligenz und ihre Folgen für den Westen

Der Wettlauf um die Superintelligenz ist längst mehr als ein technologisches Rennen – er ist zum geopolitischen Drama unserer Zeit geworden. In unseren Recherchen auf Basis des Essays AI-2027 von Daniel Kokotajlo und weiteren Autoren zeichnete sich bereits ab, dass der Konflikt zwischen den USA und China zum zentralen Motor eines entfesselten Wettbewerbs geworden ist: eines Rennens, das keine Bremse kennt und dessen Ausgang darüber entscheiden könnte, wer die Kontrolle über die nächste Evolutionsstufe der Intelligenz behält – oder verliert.

Das beschleunigte Wettrennen um die Superintelligenz

Während die Regierungen auf beiden Seiten zunehmend versuchen, die Forschung an generativer KI zu regulieren und zu lenken, wird das Tempo paradoxerweise nur noch höher. Ein aktueller Bericht der Jamestown Foundation („AGI Has Quietly Become Central to Beijing’s AI Strategy“, China Brief, 1. Oktober 2025) legt offen, mit welcher Konsequenz Peking unter der direkten Führung von Xi Jinping die Entwicklung einer Allgemeinen Künstlichen Intelligenz vorantreibt. Was im Westen noch als Vision oder Risiko debattiert wird, ist in China längst Staatsdoktrin – eingebettet in den Fünfjahresplan, flankiert von Milliardeninvestitionen und zentraler Kontrolle über Forschung, Daten und Rechenleistung.

Auf der anderen Seite des Pazifiks ringen Konzerne wie OpenAI, Google DeepMind und Anthropic mit ihren Investoren um die Vorherrschaft in einem privatwirtschaftlichen Wettlauf, der durch geschlossene Frontier-Modelle, Sicherheitsdebatten und Konkurrenzlogiken geprägt ist. Peking dagegen folgt einem anderen Pfad: einem planerisch-totalen Ansatz, in dem der Staat Forschung, Industrie und Ideologie zu einem einzigen System verschmilzt – ein System, das die Entstehung der Superintelligenz nicht dem Zufall überlässt, sondern ihr den Takt vorgibt.

So verdichtet sich die Systemfrage im Zeitalter der KI zu einer globalen Entscheidungsschlacht. Es geht nicht mehr nur um wirtschaftliche Vorteile oder technologische Spitzenleistungen, sondern um den Zugriff auf die mächtigste Ressource der Zukunft: die Kontrolle über eine Intelligenz, die bald jede menschliche übersteigen könnte.

Chinas neue KI-Strategie

Im Jahr 2025 hat sich die Volksrepublik China endgültig von einer anwendungsorientierten KI-Politik zu einem ehrgeizigen Projekt der allgemeinen künstlichen Intelligenz (AGI) gewandelt. Was noch vor wenigen Jahren als theoretischer Horizont galt, ist heute fest im strategischen Planungsapparat des Parteistaats verankert. Der Artikel „AGI Has Quietly Become Central to Beijing’s AI Strategy“ zeigt, dass die Kommunistische Partei Chinas AGI nicht als fernes Forschungsziel, sondern als integralen Bestandteil ihres Modernisierungsprogramms betrachtet. Diese Verschiebung ist das Ergebnis einer bewussten politischen Entscheidung, die Technologieentwicklung in den Dienst nationaler Souveränität, industrieller Transformation und geopolitischer Machtprojektion zu stellen.

Seit Xi Jinpings berühmter Politbürositzung von 2018, in der er die Künstliche Intelligenz als „entscheidenden strategischen Hebel“ der wissenschaftlichen und industriellen Zukunft bezeichnete, hat Peking die Weichen auf Zentralisierung gestellt. Das Ziel ist nicht allein technologische Parität mit den USA, sondern die politische Kontrolle über die Grundprinzipien intelligenter Systeme. In diesem Sinne ist der Weg zur Superintelligenz in China ein staatlich orchestriertes Unternehmen. Forschungszentren wie das Beijing Institute for General Artificial Intelligence (BIGAI), gegründet 2020 mit Unterstützung des Wissenschaftsministeriums, wurden zum institutionellen Rückgrat einer Strategie, die Grundlagenforschung, industrielle Anwendung und staatliche Governance untrennbar miteinander verknüpft. Diese „neue nationale Ordnung“ bündelt wissenschaftliche Institute, Provinzregierungen und Konzerne wie Alibaba und ByteDance zu einem einzigen, aufeinander abgestimmten Entwicklungsökosystem.

Das Besondere an diesem Ansatz liegt in seiner doppelten Struktur. Einerseits treibt der Staat gezielt die Forschung an „Frontier Models“ voran – also an theoretischen und algorithmischen Grundlagen, die den Übergang zur allgemeinen Intelligenz ermöglichen sollen. Andererseits wird der Einsatz von KI in allen Wirtschaftssektoren massiv ausgeweitet, um zugleich Wachstum, Legitimität und Datenströme zu sichern. So entsteht eine gegenseitige Verstärkung: Während die Grundlagenforschung langfristige Souveränität schafft, liefert die breite industrielle Nutzung die empirischen und ökonomischen Ressourcen, die den Fortschritt beschleunigen. Mit der „AI+“-Initiative und den jüngsten Beschlüssen des Staatsrats ist AGI heute fester Bestandteil nationaler Entwicklungsziele bis 2035 – verankert in denselben Planungsmechanismen, die schon Chinas Aufstieg in Bereichen wie 5G oder Solarenergie ermöglicht haben.

Zwei Wege zur Superintelligenz: Chinas Plan und Amerikas Wettlauf

Im Kern unterscheidet sich Chinas Weg zur Superintelligenz radikal vom amerikanischen. Während in den Vereinigten Staaten die Entwicklung von AGI ein offener Wettbewerb privater Unternehmen ist, getragen von Venture Capital, wissenschaftlicher Freiheit und ethischer Selbstbeschränkung, verfolgt China ein zentral gesteuertes Modell, bei der aber private Firmen wie Alibaba und Deepseek mit in die alle Sektoren umfassende Gesamtstrategie eingebunden werden, bei der Forschung und industrieller Einsatz zwei eng verzahnte Säulen sind.

In den USA wird Intelligenz als Produkt verstanden – etwas, das vermarktet, reguliert und in Konkurrenz verbessert wird. In China dagegen gilt sie als Souveränitätsressource, als strategische Infrastruktur des Staates. Forschung, Anwendung und politische Kontrolle sind keine getrennten Sphären, sondern Teile eines einheitlichen Projekts. Damit fällt die Entscheidung über den Kurs der KI nicht in Laboren oder Aufsichtsräten, sondern zunehmend im Zentralkomitee der Partei.

Dieser Unterschied kann weitreichende Folgen für die Geschwindigkeit der Entwicklung haben. In China wird jede Anwendung – vom intelligenten Fertigungsprozess bis zur digitalen Verwaltung – zugleich zu einem Experimentierfeld für die nächste Generation von Modellen. Daten, Rechenleistung und Kapital werden zentral gelenkt, wodurch Reibungsverluste, wie sie in westlichen Innovationssystemen üblich sind, weitgehend vermieden werden könnten. Hinzu kommt der politische Druck, technologische Durchbrüche als Beweis der Systemüberlegenheit zu liefern. Während amerikanische Unternehmen zunehmend durch eine öffentliche Debatte über Sicherheit, Ethik und Haftung gebremst werden – hier spielen die in unseren Recherchen erwähnten Warner wie Geoffrey Hinton, Yoshua Bengio und Max Tegmark und Veröffentlichungen wie „AI 2027“, der „International AI Safety Report“ und „If anyone builds it everyone dies“ von Eliezer Yudkowsky und Nate Soares, auf das wir noch zu sprechen kommen werden, eine wichtige Rolle – kennt Chinas Modell keine moralische Verzögerung. „Alignment“ bedeutet hier nicht die Einhaltung universeller Werte, sondern die Gewährleistung politischer Kontrolle und sozialer Stabilität. Das schafft eine Dynamik, die riskant, aber auch beschleunigend wirkt: der Weg zur AGI wird nicht verlangsamt, sondern systematisch forciert.

So ist Chinas Strategie weniger eine wissenschaftliche als eine zivilisatorische Wette. Der Staat begreift AGI als Fundament einer neuen industriellen und gesellschaftlichen Ordnung, als Betriebssystem seiner künftigen Macht. Der amerikanische Ansatz setzt auf Offenheit, Wettbewerb und Sicherheit – und nimmt damit bewusst ein langsameres, kontrolliertes Wachstum in Kauf. Der chinesische hingegen bündelt Forschung, Anwendung und Autorität in einem geschlossenen Kreislauf, der das Tempo maximiert und das Risiko politischer Instrumentalisierung in Kauf nimmt. Wenn diese Logik aufgeht, wird sie die Entwicklung hin zu einer Superintelligenz nicht nur beschleunigen, sondern zugleich in eine Richtung lenken, in der technologische Souveränität und politische Kontrolle untrennbar werden.

China betrachtet AGI nicht als isoliertes Produkt, das in den Laboren von Tech-Firmen entsteht. Es wird als strategisches nationales Gut gesehen, als ein Werkzeug zur fundamentalen Steigerung der wirtschaftlichen, militärischen und gesellschaftlichen Effizienz. Der ganzheitliche Ansatz zielt darauf ab, AGI tief in das System zu integrieren, um einen entscheidenden Vorteil im globalen Wettbewerb zu erlangen.

Die Konsequenzen für den Westen: Eine Zerreißprobe

Angesichts dieser systemischen Herangehensweise stellt sich die drängende Frage, ob der derzeitige technologische Vorsprung der USA und des Westens nachhaltig ist. Der „Chinese Speed“ wirft eine unbequeme, aber notwendige Frage auf: Könnte eine staatlich gelenkte Koordination nicht nur die Entwicklung beschleunigen, sondern auch den wirtschaftlichen und militärischen Nutzen effektiver maximieren als das eher fragmentierte, von Konkurrenz geprägte Vorgehen im Westen?

Die Zuspitzung der Konfrontation mit China könnte Washington daher in eine Zwickmühle treiben. Je näher sich die Labore von OpenAI, Anthropic oder Google DeepMind der AGI nähern, desto größer wird der Druck auf die US-Regierung, die staatliche Einflussnahme zu erhöhen und die Kontrolle über diese strategisch entscheidende Technologie zu sichern. Das liberale Modell der freien Forschung und Entwicklung könnte an seine Grenzen stoßen, wenn die nationale Sicherheit auf dem Spiel steht. Es könnte zu einer paradoxen Situation kommen, in der die USA gezwungen sind, Chinas Modell der staatlichen Kontrolle in Teilen zu adaptieren, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Fazit: Ein erzwungener Wandel des Systems?

Der chinesische Weg zur Superintelligenz ist eine Herausforderung für das liberale, marktwirtschaftliche Entwicklungsmodell des Westens. Die AGI-Entwicklung wird nicht nur von technologischen Durchbrüchen bestimmt, sondern maßgeblich von diesem geopolitischen Systemwettbewerb.

Doch während der geopolitische Druck von außen wächst, schlummert eine mindestens ebenso große Gefahr im Inneren der Technologie selbst. Nächste Woche tauchen wir tiefer in die konkreten Warnungen der „Godfathers of AI“ ein und beleuchten die reale Gefahr der KI-Fehlsteuerung, auch bekannt als Misalignment.

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